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Social Media im Bevölkerungsschutz, soziologisch gesehen

Wir leben heute in einer Risikogesellschaft: Risiken werden größer, undurchschaubarer und individualisierter – der Staat kann und will nicht mehr alles absichern, viel eher herrscht eine Rhetorik der Eigenverantwortung: Dass wir uns finanziell und gesundheitlich selbst absichern müssen, haben wir bereits einigermaßen verinnerlicht. Noch nicht weit verbreitet ist dagegen die Idee, dass die Einzelnen wieder mehr für Krisen aller Art vorsorgen sollten.

Fairerweise muss man natürlich sagen: Angesichts der Verfügbarkeit aller nötigen und auch unnötigen Waren und Dienstleistungen ist das gar nicht so einfach, die Notwendigkeit beispielsweise von Vorräten klarzumachen: Wenn ich Hunger bekomme und nichts mehr im Haus ist, muss ich nur kurz rausgehen und mir was beim Thai um die Ecke holen. Und an meinen letzten Stromausfall kann ich mich nur dunkel (sic!) erinnern, was wahrscheinlich daran liegt, dass der auch nicht wirklich lang dauerte. Meine Generation der Thirtysomethings kennt es auch gar nicht anders, dito unsere Eltern.

Doch im Gegensatz zu unseren Eltern steht bei uns nicht mehr „der Russe“ als konkrete Drohgebärde am Horizont, unsere Risiken erscheinen abstrakter, weniger fassbar. Wir sind mit dem Wissen aufgewachsen, dass der Fahrstuhl nicht immer nur nach oben fährt – sondern eventuell auch wieder ein paar Stockwerke nach unten.

Vielleicht kann man damit erklären, dass es in den letzten Jahren gerade bei jüngeren Leuten einen gewissen Trend gibt, sich abzusichern. Sachen selbst zu herzustellen, Gemüse im eigenen Garten (ob jetzt Schrebergarten, Urban Garden oder Balkonhochbeet) anzubauen, sich eigene Klamotten zu schneidern und mit wenig Geld möglichst weit zu kommen – das alles ist nicht mehr irgendwie suspekt und weltfremd, sondern nachvollziehbar und vielleicht ein bisschen hip.

Ich habe mit „Apokalypse Now“ einen interessanten Selbstversuch gelesen, wo Greta Taubert, die junge Autorin, genau das versucht: Komme ich ein Jahr lang aus, ohne neue Sachen zu kaufen, kann ich mich möglichst selbst versorgen und was macht das mit mir? Auch ihre Motivation ist letztlich angstgesteuert: Wenn unser bekanntes System zusammenbricht, was machen wir dann eigentlich?

Zugegeben: Es ist kein Massentrend. Aber gewisse Tendenzen lassen sich nicht von der Hand weisen. Doch wir sind ja kein soziologisches Blog, sondern eines zum Bevölkerungsschutz. Was also bedeutet das für uns, vor allem auch im Hinblick auf die sozialen Medien?

Soziale Netzwerke und ihre Nutzerinnen sind letztlich auch nur Kinder ihrer Zeit: Individualität, Vernetzung, Schnelligkeit. Es ist egal, wo ich auf der Welt bin, meine Freunde sind bei mir. Dass meine Freundin gut im Urlaub angekommen ist, sehe ich am ersten Strandfoto, das sie postet und Partys organisieren wir über Whatsapp-Gruppen.

Und wenn etwas Schlimmes passiert, wie eine Krise oder Naturkatastrophe? Schwer auszudenken, dass soziale Netzwerke dann plötzlich keine Rolle mehr spielen sollten.

Soziale Netzwerke sind das perfekte Tool für die heutige individualisierte Zeit: Man bekommt genau die Nachrichten, die einen interessieren, in Echtzeit und überall.

Dadurch wird eine Reaktion auf Ereignisse und sich schnell entwickelnde Lagen umso besser möglich: Von Ereignissen irgendwo auf dem Globus erfahren wir heute schneller als zuvor. Zum einen sorgt das natürlich für ein stärkeres Gefühl der Verwundbarkeit: Die Reaktorkatastrophe in Japan war plötzlich so nah, dass alle die Daten irgendwelcher Luftsensoren im Schwarzwald im Auge behielten und ständig Angst hatten, die Radioaktivität könnte – wie damals bei Tschernobyl – auch zu uns nach Europa kommen.

Auf der anderen Seite gibt es in der Vielfalt der Plattformen und Netzwerke garantiert eines, dass meine individuellen Interessen abdeckt und mit dem ich mich mit den Leuten vernetzen kann, die mir wichtig sind. Das kann der Einzelnen ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Solidarität geben, die althergebrachte Strukturen nicht mehr so sehr geben können. Wer tritt denn heute noch in eine Partei ein, wenn eine Online-Petition den eigenen politischen Gefühlen schneller und treffsicherer Ausdruck verleihen kann?

Ähnliches lässt sich im Bevölkerungsschutz beobachten: Die Mitgliedschaften in den Hilfsorganisationen und im THW sinken kontinuierlich. Doch bei jedem Ereignis zeigt sich, dass es kein „Weniger“ an Engagement bedeutet, sondern nur ein „Anders“: Die Helfer organisieren sich spontan über Facebook, koordinieren den Einsatz – wie die Party – über Whatsapp und erstellen ihre Lagekarte mit Google Maps. Und warum auch nicht? Diese Technologien sind Teil unseres Lebens, und wenn wir uns plötzlich von einer Krise betroffen sehen, wird sich diese Krise ganz natürlich auch in den sozialen Netzwerken abbilden, in denen wir uns bewegen.

Viel mehr noch: Betroffene, die sich selbst helfen (können), werden besser mit der Krise fertig und sind resilienter als diejenigen, die keine Möglichkeit dazu haben. Soziale Netzwerke können also auch auf emotionalem Wege helfen. Betroffene können sich vernetzen und gegenseitig helfen, aber auch Menschen aus anderen Regionen können z.B. als Digital Humanitarians vielfältige Aufgaben übernehmen oder durch ihre Anteilnahme Trost spenden.

Soziale Netzwerke als moderne Möglichkeit zur Bewältigung von Krisen – wäre das nicht auch eine Sichtweise?