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Brexit und Bevölkerungsschutz – Praxis und Forschung nach EU Vertrag.

Blick auf das große Ganze und ausgewählte Details.
Endgültiges oder Zwischenstufe

[Der Autor ist Bundesbeamter und im Vorstand DGSMTech. Die Ausführungen geben seine persönliche Meinung wieder.]

  1. Sachstand  Juni 2016 –  Oktober 2016

Die Europäische Union (EU) ist eine aus 28 Staaten bestehende Gemeinschaft mit rund 508 Millionen Einwohnern.  Einer dieser Staaten ist das Vereinigte Königreich (United Kingdom/UK), bestehend aus England, Wales, Schottland, Nordirland und Gibraltar,  seit 1973 Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Beim Mitgliedschaftsreferendum im Jahre 1975 stimmten zwei Drittel der Wähler für einen Verbleib in der EWG, die zwischenzeitlich über die Europäische Gemeinschaft (EG) zur Europäischen Union transformiert worden ist. Beim EU Mitgliedschaftsreferendum am 23. Juni 2016 stimmten bei relativ geringer Wahlbeteiligung 51,9% der Wähler für den Austritt, 48,1% für den Verbleib des UK in der  EU. [Zu den Gründen gibt es verschiedene Aussagen, Martin Walker fasst seine These bereits in der Überschrift zusammen, „Der Aufstand der englischen Arbeiterklasse. Die weiße Mittelschicht fürchtete schon seit Jahren den Abstieg. Ihr ging es im Referendum nicht um Europa, sondern um sozialen Protest“, Focus 27/16, S. 56-57.] Das im Dezember 2015 verabschiedete Gesetz über ein EU Referendum formulierte in Artikel 1  die Abstimmungsfrage: „Soll das Vereinigte Königreich ein Mitglied der Europäischen Union bleiben oder die Union verlassen?“ Die Optionen lauteten „Mitglied der Europäischen Union bleiben“ oder „Die Europäische Union verlassen“.  Dabei stimmten in Schottland, Nord-Irland und Gibraltar die Wähler mit großer Mehrheit für den Verbleib in der EU. Zwischenzeitlich ist David Cameron (Konservative, der das Referendum 2013 angekündigt und für 2016 angesetzt hatte) als Premierminister (seit 2010) zurückgetreten, die neue Premierministerin Theresa May hat bereits erklärt, dass das UK nicht mehr den Vorsitz in der EU übernehmen will.  Sie sieht das Referendum als bindend an, hat aber den Austrittswunsch bislang nicht formal erklärt. Auf dem Parteitag der Konservativen Partei am  2./3. Oktober 2016 kündigte die Premierministerin an, den Antrag bis Ende März 2017 stellen zu wollen.  Als ein Ziel wird die Rückgewinnung der Souveränität des UK auch in Fragen der Einwanderung angegeben. Ein von der Partei geforderter „Plan“ wurde nicht vorgestellt.

Börse und Wirtschaft reagieren. Am 5.8.16 kommentiert Marcus Teuer in der FAZ auf Seite 1 unter der Überschrift „Im Krisenmodus“ zur Senkung des Leitzinses durch die Bank of England am Vortag auf 0,25 Prozent, den niedrigsten Stand seit mehr als  drei Jahrhunderten [Zugleich kauft die Notenbank im großen Stil Anleihen des britischen Staates und von privaten Unternehmen. Viele Beobachter erwarten, dass der neue Finanzminister Hammond den Sparkurs seines Amtsvorgängers Osborne zumindest abmildern wird, um die schwächelnde Wirtschaft zu stützen. Vgl. „Notenbank kämpft gegen den Brexit-Schock. Die Bank von England senkt den Leitzins auf ein neues Rekordtief und wirft die Notenpresse an, um am Finanzmarkt Anleihen zu kaufen, FAZ 5.8.16, S. 21 [theu]]: „Sechs Wochen nach dem Brexit-Referendum schalten Großbritanniens Geldhüter endgültig um auf Krisenmodus.[…] Das Krisenpaket der Zentralbank ist das bislang klarste Zeichen dafür, wie groß in Großbritannien die Furcht vor den wirtschaftlichen  Schäden des EU Austritts ist. […] Das einzig wirksame Mittel gegen den Brexit-Schock ist, rasch für Klarheit zu sorgen, wie die Handelsbeziehungen zur EU und zum Rest der Welt in Zukunft aussehen.“  Nach den Aussagen der Kanzlerin kann dem UK der Binnenmarkt nur weiter offen stehen, wenn es die „vier europäischen Grundfreiheiten“, darunter die Freizügigkeit akzeptiert. [Wendt, Alexander, Erste Schritte in ein anderes Europa. Kein Regierungschef der EU verfügt über so viel Macht und Erfahrung wie Angela Merkel. Der Kanzlerin fällt nun auch im Brexit-Chaos eine Schlüsselrolle zu. Kann sie sogar in der Krise wachsen?, Focus27/16, 2. Juli 2016, S. 22-30,25] Norwegen, Island und der Schweiz steht der Binnenmarkt seit langem offen, obwohl diese Länder nicht EU-Mitglied sind. Sie akzeptieren aber die EU-Gesetzte und leisten milliardenschwere Zahlungen. London will demgegenüber mit den Verhandlungen warten und die notwendige Erklärung erst Ende März 2017 abgeben, um sich (auch personell) besser auf die Verhandlungen vorbereiten zu können. Der EU-Kommissionspräsident fordert demgegenüber, dass der Austritt in „angemessener Zeit“ beantragt werden soll. Es darf keine Geheimverhandlungen und informellen Vorgespräche geben. [Wendt, ebd. S. 26] Ein langes Zuwarten würde auch der britischen Wirtschaft schaden. Die Rating-Agenturen haben die Kreditwürdigkeit des Landes bereits um zwei Stufen gesenkt, Investitionen sind gestoppt worden.

2. Rahmen der EU

Mit dem Vertrag von Maastricht (7. Februar 1992) wurde die EU als übergeordneter Verbund für die Europäischen Gemeinschaften und u. a. eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vereinbart.  Bis zum 1. Januar 1999 sollte eine gemeinsame Währung eingeführt werden. Das UK Unterzeichnete den Vertrag von Maastricht aber nur mit zwei Vorbehalten. 

  1. Die sogenannte „Opt-out-Klausel“. Diese Klausel erlaubt es dem UK selbst zu entscheiden ob und wann es der Währungsunion beitritt. 
  2. Das Sozialprotokoll. Das Sozialprotokoll, das dem Vertrag angehängt ist und Vorschriften zu arbeitsrechtlichen Mindeststandards enthält, wurde vom UK ebenfalls nicht unterzeichnet. 

Im Dezember 2007 unterzeichnete der englische Premierminister Gordon Brown (Labour Party, Premier 2007-2010) den Vertrag von Lissabon. Infolge des Lissabon-Vertrages regelt Art. 50 des EU-Vertrages, als erste Norm überhaupt, dass jeder Mitgliedsstaat im Einklang mit seinen innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen kann, aus der EU auszutreten. 

Da der EU Vertrag Grundlage der EU bildet und dessen Art. 50 den Austritt regelt, ist er hier aufgeführt und der Weg dargestellt.

3. Art. 50 EU-Vertrag

Art. 50

(1) Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.

(2) Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird. Das Abkommen wird nach Artikel 218 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgehandelt. Es wird vom Rat im Namen der Union geschlossen; der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.

(3) Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.

(4) Für die Zwecke der Absätze 2 und 3 nimmt das Mitglied des Europäischen Rates und des Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, weder an den diesen Mitgliedstaat betreffenden Beratungen noch an der entsprechenden Beschlussfassung des Europäischen Rates oder des Rates teil.

Die qualifizierte Mehrheit bestimmt sich nach Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

(5) Ein Staat, der aus der Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, muss dies nach dem Verfahren des Artikels 49 beantragen.

Nach Artikel 50 Abs. 2 Satz 1 beginnt das Verfahren damit, dass ein Staat beschießt aus der EU auszutreten. Dabei muss der Staat nach Art. 50 Abs. 1 seine eigenen verfassungsmäßigen Regeln beachten. In Deutschland beispielsweise dürfte ein Beschluss des Bundestags notwendig sein. Daher ist fraglich, ob in dem Mitgliedsreferendum ein entsprechender Beschluss zu sehen ist, oder vielmehr ein Auftrag an Regierung und Parlament diesen Beschluss vorzubereiten.  Dies ist hoch umstritten. Während die Premierministerin die Ansicht vertritt, das Parlament habe die Entscheidung an das Volk delegiert und damit endgültig abgegeben, die Regierung allein habe den Auftrag, diese Entscheidung umzusetzen, verteidigen gerade viele „Remainer“ den Gedanken der Parlamentssouveränität bzw. der Gestaltungsmacht des Parlamentes: Das Parlament, Unter- und Oberhaus müsse den Antrag formulieren, ihm zumindest zustimmen. Der High Court prüft zurzeit, ob dies der Fall ist. [Buchsteiner, Jochen, Die Intelligenz des britischen Volkes. Wer ist Theresa May, und was will sie? Auf ihrem ersten Parteitag als Vorsitzende der Konservativen macht die Premierministerin viele Versprechen, FAZ, 4.10.16, S. 4.] Es ist zu erwarten, dass der Rechtsstreit letztendlich vor dem Supreme Court ausgetragen wird. Dort schein die Mehrheit der Auffassung zuzuneigen, dass das Parlament gefragt werden muss. Mangels Revolution hat das UK vormoderne Rahmenbedingungen konserviert. Die Souveränität liegt grundsätzlich nicht beim Volk sondern bei der „Queen-in-Parliament“, der Krone zusammen mit dem „politischen Volk“ im traditionellen Sinne, womit heute das Unterhaus gemeint ist. Somit spricht vieles dafür, dass das Brexit-Votum erst mit der Zustimmung des Parlaments bindend wird. [Vgl. Reinhard, Wolfgang, Von der Expansion zur Krise. Die Europäische Union konnte vom traditionellen Expansionsdrang Europas nicht lassen. Daher leidet sie auch ohne den Brexit an den Folgen ihrer kurzsichtigen wirtschaftlichen und politischen Überdehnung, FAZ, 19.09.2016, S.6.] Es wird erwartet, dass die Unterhausabgeordneten mehrheitlich dem Votum der Wähler folgen. Es wird allerdings für möglich gehalten, dass das Oberhaus gegen den Brexit stimmen könnte. [Buchsteiner ebd.]

Ob das UK den freien Zugang zum Binnenmarkt bei einem Austritt verliert, bleibt weiter offen. Während Aussagen von Premierministerin May in Richtung eine „harten Brexits“ und Inkaufnahme des Verlustes des Binnenmarktzugangs verstanden werden können, betont der britische Handelsminister Liam Fox, der Handel zwischen der EU und dem UK werde nach dem Austritt „mindestens so frei sein“ wie heute. [Britische Regierung verspricht freien EU-Handel trotz Brexits. In der Wirtschaft wächst die Furcht vor Handelshemmnissen, FAZ 1.10.2016, S. 22, [theu].] Viele Autoren fordern auch von Brüssel und der verlassenen EU Entgegenkommen. Nichts wäre falscher, als ein Exempel statuieren zu wollen. [Vgl. Steltzner, Holger, Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Die Wanderungen innerhalb der EU sorgen nicht nur in Britannien für Verwerfungen. Auch Migration braucht Maß und Mitte: Europa muss seine erfolgreichen Sozialmodelle schützen, FAZ 23.09.16, S. 18, Kooths, Stefan, Vorfahrt für den Freihandel. Nach dem Brexit-Votum hat mancher in Brüssel auf Rache und Bestrafung gesonnen. Nötig ist ein maximal kooperativer Geist, der Brücken für die Briten offen lässt, FAZ 19.09.16, S. 16.]

Nach dem Beschuss folgt die Mitteilung (Absichtserklärung) der Regierung des UK an den Europäischen Rat. Diese formale Mitteilung ist unstreitig bis heute nicht erfolgt, so dass grundsätzlich die Zwei-Jahres-Verhandlungsfrist Art. 50 Abs. 3 nicht greift. 

Grundsätzlich ist, nachdem ein Staat seine Absicht aus der EU auszutreten erklärt hat, vorgesehen, dass in einem maximal zweijährigen Verhandlungsprozess ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts ausgehandelt wird, das auch die künftigen Beziehungen des austretenden Staates zur EU regelt, Art. 50 Abs. 2, Satz 2 und 3. Das Abkommen wird vom Europäischen Rat im Namen der EU mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschlossen. Sollte keine Mehrheit zustande kommen, verlässt der Staat die EU im Wege des ungeregelten Austritts. 

Nach der Mitteilung würden die europäischen Staats- und Regierungschefs– unter Ausschluss des Vereinigten Königreichs – als erstes Leitlinien für die Austrittsverhandlungen festlegen. Die EU-Kommission oder ein anderes, von den Staaten ernanntes Gremium sollte im Anschluss mit dem UK ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aushandeln. Dabei würde auch der Rahmen für die künftigen Beziehungen des UK zur Union berücksichtigt bzw. festgelegt werden. Das Austrittsabkommen muss am Ende mit einer sogenannten qualifizierten Mehrheit der verbliebenen 27 Mitgliedstaaten beschlossen werden. Das heißt: 72 Prozent der Staaten, die wiederum 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen. Das EU-Parlament muss ebenfalls zustimmen. Nach Angaben der EU-Kommission reicht dafür aber eine einfache Mehrheit. [Handellsblatt, Brexit und der Artikerl 50. Europas Regeln für den Ausstieg, Internet http://www.handelsblatt.com/politik/international/brexit-referendum/brexit-news/brexit-und-der-artikel-50-europas-regeln-fuer-den-ausstieg/13790112.html, Zugriff 4.8.16] Es ist davon auszugehen, dass die Abgeordneten des UK als gewählte Vertreter von der Abstimmung nicht ausgeschlossen sind sondern mit abstimmen. 

 Sollte kein Abkommen beschlossen werden finden zwei Jahre nach der Austrittserklärung die Verträge ausnahmslos keine Anwendung mehr, es sei denn etwas anderes ist vereinbart. Der Staat ist „out“. „Die Verträge“ dürfte umfassend alle EU-Verträge meinen.

Um diese Aussagen richtig einordnen zu können, sollen die rechtlichen Fragen noch einmal zusammengefasst werden.

Nach Artikel 50 Absatz 1 muss der Austrittsbeschluss im Einklang mit der Verfassung des austretenden Landes stehen. Das UK verfügt nicht über eine geschriebene Verfassung.  Weitgehend gesichert ist, dass das Referendum nur konsultativen Charakter hatte. In der deutschsprachigen Terminologie wäre das Votum als  „Volksbefragung“, nicht als „Volksentscheid“ einzuordnen. [ Michl, Walter, Die formellen Voraussetzungen für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), 18/2016, S. 1365-1369, 1366] Den Begriff des Volksentscheids bzw. der Volksbefragung kennt das Grundgesetz z. B. in Artikel 29 Absatz 2 Satz 1  und Artikel 29 Absatz 5 (Neugliederung des Bundesgebietes). Damit stellt sich die Frage, ob die Austrittsentscheidung allein eine Entscheidung der Exekutive, d. h. der Regierung ist, weil sie der traditionell der Regierung übertragenen Außenpolitik zuzurechnen ist, oder ob sie der Zustimmung des Parlamentes (ggf. Unterhaus und Oberhaus) bedarf. 

4. Brexit Gegner

Schottland, Nord-Irland und Gibraltar wenden sich vehement gegen den Brexit. Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon stellt ein zweites Referendum über den Verbleib Schottlands im UK in Aussicht. Das Ergebnis von 60% EU-Befürwortern zeige deutlich, dass die Bevölkerung Schottlands ihre Zukunft in der EU sieht. Schottland ist entschlossen, in der EU zu bleiben und sich nicht herausdrängen zu lassen. [Wendt, ebd. S. 26 (Anm. 3)]

Die an der nordirischen Regionalregierung beteiligte irisch-republikanische Partei Sinn Fein fordert eine Vereinigung mit Irland, damit die ganze Insel in der EU bleiben könne. 

Spanien erneuert seine Ansprüche auf Gibraltar und schlägt eine gemeinsame Verwaltung vor.

5. Forschung und Bevölkerungsschutz

Die Europäische Kommission fördert die Vernetzung im Bevölkerungsschutz mit dem speziellen Austauschprogramm „Exchange of Experts in Civil Protection“. Dieser intensive Austausch von Wissen und Erfahrung stärkt den Katastrophenschutz in den 34 teilnehmenden Staaten des Katastrophenschutzverfahrens der Union (UCPM) als auch in Nachbarschaftsstaaten (insgesamt 52 Ländern). Das Programm wird von der Europäischen Kommission finanziert und seit 2006 vom THW betreut. Im Hinblick auf die Forschungslandschaft  i. B. innerhalb der Universitäten des UK ist fraglich, wieweit die EU ihren finanziellen Beitrag zur Unterstützung der Forschungsaktivitäten kurz- oder mittelfristig einschränken wird. Derartige Einschränkungen könnten bereits beginnen, wenn das UK die Mitteilung über den Austrittsbeschluss offiziell verkündet hat. Forschungsprojekte haben regelmäßig allein einen dreijährigen Förderzyklus (Laufzeit), die Antrags- und Vorbereitungszeit nicht gerechnet. Stand 2016 trägt die EU 16% der Forschungsfinanzierung. [nternet,  „Brexit“ would hit U. K research hard, report says, Zugriff http://www.sciencemag.org/news/2016/05/brexit-would-hit-uk-reseach-hard-report-says, sciencemag.org., 7.05.2016, EU- Austritt des Vereinigten Königreichs, Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/EU-Austritt_des_vereinten-Königreichs, Zugriff 4.8.16] Möglicherweise sind bereits bei Anträgen zur Verlängerung laufender Forschungsvorhaben Veränderungen zu erwarten. 

Zudem wird sich die Legitimationskrise der britischen Wissenschaften zwangsläufig verschärfen. Schon seit einigen Jahren wird im UK eine Forschungsförderung nur noch in den Fällen bewilligt, in denen ein Forschungsergebnis von volkswirtschaftlicher Relevanz ist. Für die Geisteswissenschaften kommt dies einer Katastrophe gleich. Literaturwissenschaftler beispielsweise können nur auf einen Bestseller oder eine Verfilmung hoffen. [Vgl. Schmoll, Heike, Unterwegs zur Lügenwissenschaft. Gegen den Sog des Populismus hilft wissenschaftliche Aufklärung. Doch statt Irrationalität mit Sachverstand abzuwehren, dünnt die EU die Sozialwissenschaften aus und flüchtet in Technokratie, FAZ 22.08.16, S. 11.] Der Sendai Framework für Disaster Reduction der UN von 2015 betont die Rolle der zivilgesellschaftlichen Akteure in der Herstellung von Resilienz gegenüber Krisen und Katastrophen. Die Einbindung von Spontanhelfern und zivilgesellschaftlichen Akteuren ist damit nicht nur in der Einsatzrealität der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) und Hilfsorganisationen ein drängendes Thema, sondern wird auch in nationalen und internationalen Zivilschutz-Konzepten behandelt. Wie diese Einbindung erfolgreich gestaltet werden kann, wird dort jedoch nicht beschrieben. Da Sicherheitspolitik eine zunehmend europäische und internationale Aufgabe ist, ist eine europäische bzw. internationale Debatte rund um die zivile Sicherheit bereichernd und kann die Entwicklung weiterer Lösungen zur Stärkung des Zivilschutzes in Wissenschaft und Wirtschaft anregen.

Der Normenentwurf zur ISO/DIS 22319 beschreibt die Einbindung von Spontanhelfern in die Bewältigung einer Schadenslage. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Helfer direkt von der BOS eingebunden werden. Hat die BOS keine entsprechenden Ressourcen oder Strukturen, kann die Einbindung der Helfer über den beschriebenen Weg nicht unterstützt werden. Wichtige Regelungen enthalten auch die Normen DIN EN ISO 22397 („Guidelines for Planning for Establishing Partnering Arrangements) und ISO/WD 22320 („Requirements for Incident Response“, in Erstellung). Insgesamt findet auf europäischer und internationaler Ebene ein Prozess der Normung statt, dem sich kein Land entziehen kann. 

6. EU-Katastrophenschutz am Beispiel des MIC

Der Vertrag von Maastricht (1. November 1993) sieht erstmals eine gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik vor. Diese gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gilt als zweite Säule der EU. Der eigentliche Bevölkerungsschutz bleibt aber Aufgabe des Einzelstaates. Bevölkerungsschutz muss als Teil einer gesamtstaatlichen Sicherheitssstrategie betrachtet werden. Viele Konfliktformen erfordern aber einen „umfassenden vernetzten Sicherheitsansatz“. [So Botschafterin Dr. Patricia Flor, Beauftragte der Bundesregierung für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle auf der 49. Sicherheitspolitischen Informationstagung am 21. und 22. August 2015 in Hamburg, zit. nach, Bach, Werner, Fett Wolfgang, Die Rolle und Verantwortung Deutschlands in und für Europa aus politisch-strategischer Sicht. Bericht über die 49. Sicherheitspolitische Informationstagung, Europäische Sicherheit & Technik 11/2015, S. 88-90,88.] Erste Abstimmungsebene für die Sicherheitspolitik ist  die EU. [Ebd.] Dem trägt auch das aktuelle Weißbuch der Bundeswehr 2016 Rechnung. Der EU Civil Protection Mechanism ist seit anderthalb Dekaden in vielfältiger Weise wirksam. Gerade bei Naturkatastrophen konnte effektiv geholfen werden. [Vgl. The EU Civil Protection Mechanism. 10 years of European cooperation in disaster management, Luxembourg 2012] Mit Julian King (dem vorherigen britischen Botschafter in Paris) gibt es seit September 2016 einen neuen EU-Kommissar für das neue Ressort Sicherheitsunion. Die Rückkehr von IS-Kämpfern z. B. ist ein gesamteuropäisches Problem/Risiko, das nach einer Rückeroberung der Millionenstadt Mossul noch an Aktualität gewinnen dürfte. [Shiltz, Christoph B., Tauber, Andre, „Wir können die Gefahr nicht auf Null reduzieren“. EU-Sicherheitskommissar Julian King über IS-Rückkehrer, den Schutz der EU-Außengrenze und die Ausweise der Zukunft, Die Welt Kompakt, 18.10.2016, S. 6.] Weitere wichtige Akteure sind Europol und die neue Grenz- und Küstenschutzagentur der EU, deren Aufgabe es ist die EU-Außengrenzen zu sichern.

7. Was wird?

  1. In eine bemerkenswerten Aufsatz fasst Roland Koch sein Ergebnis im ersten Satz zusammen „die Tür ist zu.“ Gleichzeit räumt er ein: „Erst der Austrittsantrag wird Klarheit über den Anfang des Ausstiegs schaffen.“

„Großbritannien wird das Referendum nicht ignorieren können und austreten. Aber niemand auf beiden Seiten des Ärmelkanals will dort eine starre WTO-Grenze sehen. Also müssen Lösungen im Rahmen der Europäischen Freihandelszone (Efta) gesucht werden. Wenn  also das große Vereinigte Königreich Efta-Mitglied werden würde, wie es Norwegen oder die Schweiz heute schon sind, dann wäre das keine Notlösung, sondern ein sinnvolles politisches Konzept für beide Seiten. Und es würde der Türkei auf Augenhöhe mit der Nuklearmacht Großbritannien den idealen Platz an der Seite Europas ermöglichen.“

Teilweise wird nun EU-weit eine aufgabengerechte Personal- und Sachausstattung gefordert. Defizite in diesem Bereich belasten das Gerechtigkeitsgefühl der Bürger. [ So der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes Klaus Dauderstädt am internationalen Tag des öffentlichen Dienstes, zit. Nach, „Internationaler Tag des öffentlichen Dienstes: EU soll Investitionen fördern, VBOB Magazin, Juli/August 2016, S.33.]

Teilweise wird auch der Weg des harten Brexit (kein Binnenmarkt) vertreten. So die britische Premierministerin und der EU-Ratspräsident. Beide scheinen die Gräben vertiefen zu wollen. [Vgl. Bolzen, Stefanie, Die Nerven der Briten flattern. Den Befürwortern des Ausstiegs aus der EU schwimmen die Felle davon, denn die Folgen werden langsam sichtbar: Das sieht man an Boris Johnsons verräterischen Kolumnen, dem sinkenden Pfund und dem Fehlen von Marmite, Die Welt Kompakt, 18.10.16, S. 15]

Hans-Werner Sinn fordert. „ Ein 15-Punkte Plan für Europa“ [Sinn, Hans-Werner, Ein 15-Punkte Plan für Europa. Brexit, Flüchtlingswelle, Euro-Desaster: Europa taumelt von einer Krise in die nächste. Es wird höchste Zeit für einen Neustart, FAZ Sonntagszeitung, 16.10.16, S. 29.] und damit einen „Neustart“.  Er fordert  aber auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik, damit eine Weiterentwicklung des Bestehenden, bewertet diesen Punkt mithin als positiv.  

8. Wie konnte es dazu kommen?

Diese Frage hört man allerorten. Statt eines Antwortversuches könnte eine Annäherung über die Person eines der Haupt-Protagonisten des Brexit, den Außenminister des UK und früheren Bürgermeister Londons Boris Johnson, zielführender sein. Den entsprechenden Versuch unternahm Thomas Kielinger, Focus 21. Mai 2016, S. 22-27, Der Aussteiger. Boris Johnson, 51, der exzentrische Londoner Ex-Bürgermeister, tourt durch Großbritannien, um für den Austritt seines Landes aus der EU zu werben. Riskiert er die Auflösung der Europäischen Union, bloß weil er seinen Studienfreund David Cameron als Premierminister ablösen will?“ Seine These hat er in der Überschrift formuliert. Doch diese ist heute veraltet. Boris Johnson hat seine Kandidatur frühzeitig zurückgezogen und hat es vorgezogen Außenminister in der Regierung May zu sein. Ob das zu der Bewertung passt, das Amt sei sein Ziel, der Brexit die Methode, wird jeder selbst entscheiden. Ich denke, alle diese Aussagen verdecken die schlichte Tatsache dass niemand es weiß. Und genauso weiß mE niemand wirklich warum es zu dieser Breit Entscheidung gekommen ist, oder ob alle Wähler sich der Tragweite Ihrer Entscheidung bewusst waren. 

9. Brexit und Zukunft

Der britische Dichter und Germanist Jeremy Adler (geb. 1947) bewertet den Brexit als nationalen Selbstmord und prophezeit: „Der Brexit stellt den letzten Atemzug des britischen Empires da, der vermutlich die Zerstückelung der Union zur Folge haben wird.“ [Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode. Die Idee der Herrschaft des Parlaments, die Englands Aufstieg möglich machte, wurde Englands Verhängnis. Der Brexit offenbart das britische Verfassungsdefizit, FAZ, 8.8.16, S. 9, 11.] Er ist folgender Ansicht: „Im Plebiszit trat ein Verfassungsdefizit zutage, ein politisches Vakuum, in das die ehemals durch das Parlament gebändigte Demagogie hereinströmte. Dabei wurden die Entwürfe der großen Theoretiker der Staatskunst  von Thomas Hobbes und John Locke bis zu Edmund Burke und Walter Bagehot, die Englands Aufstieg begleitet hatten, zu Englands Verhängnis. Die Gesetzgeber haben die Verfassung geformt, um Gefahren zu bannen, wie den Bürgerkrieg, der die Gesellschaft im siebzehnten Jahrhundert zerrüttete. An den Brexit und das bewusste Inkaufnehmen der damit verbundenen Risiken hat niemand gedacht. [Vgl. Eckhardt, Ralph, Effizienz in der Krise – Eine Übertragung aus dem Cockpit. Was Manager von Kampfpiloten lernen können, in: Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Professioneller Prävention bei sicherheitsrelevanten Bedrohungen von innen und außen, hg. Von Jörg H. Trauboth, Stuttgart 2016, 116-161,150.] Prognosen zur weiteren Entwicklung erscheinen mangels Erfahrungen und Validitätskriterien unseriös.

Allgemein anerkannt ist, dass es zur erfolgreichen Vorbereitung auf schwierige Situationen und Krisen gehört, zu wissen, was man will, einen Plan zu haben. Auf der Grundlage eines Planes ist effektives handeln möglich bzw. wahrscheinlich. Von einem Plan der britischen Regierung oder der EU ist aber bis heute nichts bekannt. 

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10. Ergebnis

Gerade im Bereich der Forschung und des Katastrophenschutz könnte der Brexit erhebliche negative Folgen haben. Auch internationale Kontakte und Handelsbeziehungen könnten erschwert werden. Zwar ist Europa der deutlich größere Wirtschaftsraum, London als Handelsmetropole aber eine zentrale Verbindung z. B. nach Asien und Amerika. 

In derartigen Situationen könnte ein Neu-Nachdenken sinnvoll sein. Vielleicht gibt es gerade im Hinblick auf die dargestellten Fragen Alternativen zum Brexit, der das genaue Gegenteil einer „win-win“ Situation zu sein scheint. Eine Verengung auf die bloße Frage: Harter oder weicher Brexit ist im Hinblick auf die Gesamtsituation nicht angemessen. Neben dem UK könnte ganz Europa viel verlieren. 

Die Verhandlungsposition beider Seiten könnte schlechter sein als erwartet, die ersten negativen Folgen sind erkennbar.  Schottland könnte die Union verlassen wollen. Denn jedes Austrittsabkommen könnte eine Änderung von Section 29 des Scotland Act 1998 bedingen, so dass die Zustimmung des Schottischen Regionalparlamentes erforderlich wäre. Ob sich die Stimmung im UK verändert, ist nicht absehbar.  „Sollte dies so kommen, wäre die eleganteste Variante, das Vertragswerk über die neugestalteten Verbindungen zwischen dem Königreich und der EU nach den Verhandlungen zur Abstimmung vorzulegen und mit einem Nein den Erhalt des Status quo zu verbinden“. [Michl ebd. S. 1369] Das hieße auf eine zweite Volksbefragung zu setzen.