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Was hat Ulrich Beck mit Greta Taubert und Social Media zu tun?

Müssen wir googeln! Die Welt hat sich verändert seit 1986. Tatsächlich und im Bewusstsein. Einen wesentlichen Ansatz zu dieser Veränderung prägte der kürzlich im Alter von 70 Jahren verstorbene Soziologe Ulrich Beck mit seinen Begriffen der Risikogesellschaft und der Weltrisikogesellschaft, deren zentral prägendes Moment die Angst ist. Und sind wir nicht alle 86er? geprägt durch Tschernobyl, den Super Gau. Als das Undenkbare geschah. Wenn es eine Postmoderne gibt, das Anfangsdatum könnte der 25. April 1986 sein. Und gibt es einen klareren Begriff als „Super GAU“? GAU = Größter anzunehmender Unfall, das genügte für die Katastrophe von Tschernobyl von Anfang an nicht. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik und wer sonst hatten schon begrifflich das Risiko einer Tschernobyl vergleichbaren Katastrophe ausgeklammert.

Natürlich hat die Koinzidenz der Ereignisse das Themavorangetrieben, die „Risikogesellschaft“ erschien direkt nach Tschernobyl und konnte sogar noch auf das Ereignis eingehen, den Super Gau.

Die Risikogesellschaft folgt aus zwei für die späte Moderne (Neueste Zeit früher genannt) prägenden Ansätzen. Dem Gedanken des eher als negativ empfundenen Risikos und dem Gefühl der Angst. Diese Gefühle sind gesellschaftlich prägend geworden, nachdem die Grundbedürfnisse deren Befriedigung das zentrale Anliegen aller vorherigen Gesellschaftssysteme war (der Mensch/die Familie gab bis ins 19. Jahrhundert mehr als 3/4 des Einkommens für Nahrungsmittel aus. Kranken-, Rentenversicherung, staatliche Absicherungssysteme werden – und dazu in sehr geringem Umfang (Rente mit 75) – erst Ende des 19. Jahrhundert eingeführt. Bismarck nutze die entsprechende Gesetzgebung auch, um zu versuchen, die Sozialdemokraten bei Wahlen nicht zu stark werden zu lassen. 

Nach Beck führt die Angst des Einzelnen zur Solidarität [Vgl. Internet, http://www.zeit.de/1985/40/die-gefahr-verändert-alles/Komplettansicht. Beck, Ulrich, die Gefahr verändert alles. Über das Leben in einer „Risikogesellschaft, ders. Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit, Frankfurt 2007.], zu neuartigen Solidarisierungsprozessen in westlichen Gesellschaften – Beispiele ließen sich von der Gründung der „Grünen“ bis zur Occupy-Bewegung finden, mit guten Gründen bestätigen, allerdings auch mit guten Gegengründen ablehnen. Auch Aktuelles bildet nicht einfach Fortsetzungen, aber irgendwie doch. Greta Taubert wählt in ihrem Buch „Apokalypse jetzt“ (Köln 2014) den Untertitel „wie ich mich auf eine neue Gesellschaft vorbereite. Ein Selbstversuch.“ 

Das ist irgendwie etwas ganz anderes. Und doch. Was ist „Apokalypse now“ anderes als individuelle Risikowahrnehmung kombiniert mit dem Versuchen von Handlungsoptionen. Und gerade dafür hat Ulrich Beck den Blick geschärft. Womit beginnt die Risikowahrnehmung? Mit der „Angst“ und dem Ende der Welt wie wir sie kannten (Argumentation in Anlehnung an den Essener Soziologen Harald Welzer, Taubert S. 12).

„Angst“ als Bindungskraft und Grundlage, das ist bis heute neu, ungewohnt, provokant. Und diese Angst vor gesteigerten Risiken ist auch begründet.

Ulrich Beck hat das Denken (unser Denken) und die Soziologie nachhaltig geprägt und verändert. Es gibt kein Zurück vor die „Risikogesellschaft“. Ein neues Bewusstsein ist da. Und dies gilt weltweit, wie schon der Titel den nächsten Programmwerkes „Weltrisikogesellschaft“  von 2007 zeigt, mit dem er die Trias „Risiko“ – „Risikogesellschaft“ – „Weltrisikogesellschaft“ vervollständigt.. Machen wir uns die Risiken bewusst, sind sie überall zu erkennen. Wer hätte noch in den 80er Jahren gedacht, dass die Bundewehr weltweit im Einsatz sein könnte.

Die Risikogesellschaft hat das Risiko-Ver- und Absicherungskalkül der Moderne, d. h. die Risiken des Einzelnen werden quasi vertraglich gesellschaftlich getragen und abgesichert und wesentliche politische Strömungen vom Sozialismus bis hin zum Liberalismus tragen diese Absicherung mit, außer Kraft gesetzt. Aus dem Konsens wird ein Vertrag zu Lasten Dritter, im Prinzip aber schwerpunktmäßig der jüngeren und finanziell nicht abgesicherten Frauen und Männer. Wir leben in einer Welt, in der über die Zukunft unter den Bedingungen permanenter und wachsender Unsicherheit entschieden werden muss. Aus Verantwortung und Kausalitätsnachweispflichten wird über juristische Kategorien die im 19. und 20. Jahrhundert geprägt wurden, die organisierte Unverantwortlichkeit. Blasen zehn Betriebe Arsen in die Luft, kann der in seiner Gesundheit Geschädigte den Verursacher nicht zweifelsfreifeststellen und keiner haftet, ggf. tritt die Allgemeinheit ein. Ein Aspekt dieser Unsicherheit sind z. B. unsichere Biografien. Aus dieser Situation erscheint es logisch, dass auf der Wertskala Sicherheit wichtiger wird als Freiheit und Gleichheit.

In dieser Gesellschaft sind realisierte Risiken – Katastrophen. Die Antizipation dieser Risiken erfolgt weltweit. Und da die ständige Erwartung unsere Handlungen bestimmt, wird sie zu einer weltweiten Kraft. „Wie wird die Gegenwart künftiger Katastrophen hergestellt? Wieweit regt gerade die Antizipation der Katastrophe dazu an, das Politische neu zu erfinden? “, fragt Ulrich Beck. Die Antwort ist schlicht, differenziert und wahr: Das Weltrisiko ist die Realitätsinszenierung im Sinne einer Vergegenwärtigung des Weltrisikos. Der Mensch muss sich mit dem Risiko beschäftigen, teilweise, wie es bei der Diskussion um den Klimawandel evident wird, um gerade das Wirksamwerden des Risikos (= die Katastrophe der Erderwärmung) zu verhindern. Die Bedeutung der Inszenierung zeigt sich besonders deutlich beim Terror. Beck sagt wörtlich: „ Überspitzt formuliert: Es ist nicht die terroristische Tat, sondern die globale Inszenierung der Tat und die auf die Inszenierung folgenden politischen Antizipationen, Aktionen und Reaktionen, die die westlichen Institutionen der Freiheit und Demokratie zerstören.“ [Inszenierung ist hier mit „Sozialer Konstruktion“ gleichzusetzen, vgl. Weltrisikogesellschaft S. 30.] Damit ist die Weltrisikogesellschaft und damit die gesamte menschliche Gesellschaft primär angst- nicht freiheitsgeprägt. Die Reaktionen sind völlig unerwartet, so hat zum Beispiel nach 9/11 die Nato den Verteidigungsfall ausgerufen, deutsche Soldaten verteidigen am Hindukusch, und der amtierende Außenminister heißt Joschka Fischer. Der Terrorist wird zum Weltstar des Verbrechens, die Inszenierung als globale Gefahr verhilft ihm zu erweiterter Macht. Nun kann er auch die Social Media für seine Zwecke nutzen.

Denn noch viel mehr prägen, prägten und werden prägen die Social Media unsere kleine Welt des Individuellen und die große Welt der Globalisierung. Alles wird eine Welt, lokal, international, virtuell oder real. Dazu verschwimmt die Unterscheidung zwischen dem Risiko und der (kulturellen) Wahrnehmung des Risikos. Das wir objektiv möglicherweise in der sichersten Gesellschaft aller Zeiten leben, wird unwichtig. Wichtiger wird die subjektiv wahrgenommene Unsicherheit. Zudem haben schon wegen der Social Media alle Menschen eine gleichzeitige Gegenwart. Ich erhalte auf meine Email-Frage nach Abu Dhabi in Minutenschnelle eine Antwort, schneller als aus dem Nachbarbüro. Die ganze Welt bestimmt unsere Wahrnehmungen und die Risiken, die wir zu erkennen glauben sind das Produkt und Spiegelbild unserer selbst, unserer kulturellen Wahrnehmungen der Realität. Derartige globale Risiken typologisiert Beck in vier Dimensionen:
– Ökologische Krisen
– Globale Finanzkrisen (Ökonomische Krisen)
– Terroristische Gefahren
– Biographische Risiken (letztere analysiert er in der „Risikogesellschaft“.

Es lohnt sich, selbst mehr zu lesen.
Ulrich Beck verstarb am 1. Januar 2015. 
Seine  „Risikogesellschaft“ wurde als eines der zwanzig bedeutendsten soziologischen Werke des Jahrhunderts durch die International Sociological Association (ISA) ausgezeichnet.